Brutal und Elegant

„Brutal und elegant“ – Kreditinstitut und Shoppingdemokratie – Franz von Reden’s Diploma Thesis, Betreut von Prof. Wiel Arets,  Prof. Adolf Krischanitz, Matthias Ballestrem. Protocol Magazine N° 02 — Summer Term 2007 – UdK Berlin.

 

Newark 1914/15.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in den letzten 20 Jahren seines Lebens und unter den Vorzeichen eines schon vergangenen Sterns, baute der amerikanische Architekt Louis Sullivan, unter wenigen anderen Gebäuden, acht kleine Banken. Diese Banken entstanden in Kleinstädten des mittleren Westens der USA, einer damals natürlich vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Region, so dass die Kunden einer dortigen Bank entweder Landwirte oder der Landwirtschaft nahe stehende Geschäftsleute waren. Während sich in jener Zeit Bankgebäude gewöhnlich stilistisch streng an den Formenkatalog der Antike hielten, waren Sullivans Banken, auch wenn man sie sich ohne die für ihn typischen Ornamente denken würde, in sich so eigen, dass sie, von ihrer zeitgenössischen Kritik zwar bedacht, aber schnell in Vergessenheit geraten und erst viel später neu entdeckt und im Kontext seiner frühen Bauten betrachtet, heute zu den exemplarischen Beispielen des Genies dieses Architekten gehören.

Das Bankensystem der USA bestand am Ende des 19. Jahrhundert aus National- bzw. Landesbanken und, besonders im Fall der ländlichen Regionen des Westens, aus kleinen, lokalen Sparkassen und „Trust and Loan“ Firmen. Die Erschließung und Entwicklung des Westens Amerikas war von den großen Banken der Ostküste finanziert worden. Mit der aufkommenden Industrialisierung wurde diese bestehende Abhängigkeit von der Ostküste deutlich. Das Interesse dieser Banken an dem Wirtschaftszweig Landwirtschaft begann zu schrumpfen. Der Bedarf an Kredit, den Landwirte für Investitionen benötigten, wurde von den großen Banken nicht mehr ohne weiteres entsprochen. Die Kredite der kleinen lokalen Banken wurden teurer, weil sie selber nicht über das nötigte Kapital verfügten und somit nur von den großen Banken des Ostens übernommene Kredite teuer weitergeben konnten. Die Landwirte, denen bisher erzählt worden war, sie seien das wirtschaftliche Rückgrat des Landes, gar die Säulen der Zivilisation, begegneten dieser Entwicklung mit Unverständnis und daraus resultierendem Misstrauen gegenüber den Banken. Sie verstanden nicht, wieso es in der Hand ihrer Financiers liegen sollte zu entscheiden, ob die Landwirtschaft ein sich lohnendes Geschäft sei; der Bankier galt als ein Wucherer.

Die Situation beschreibt einen interessanten Moment in der Dynamik des amerikanischen Kapitalismus, der, hier zur Illustration der Gründe für den Wandel dieses Bankwesens ab den 1890er Jahren, zu seinem wahren Ausgangspunkt werden wird: Auf der einen Seite weite Flächen von Land mit einer vorwiegend agrarökonomischen Wirtschaftsstruktur als Voraussetzung einer homogenen Kulturlandschaft, auf der anderen Seite, nämlich an der Ostküste, eine explodierende Industrialisierung, mit dem einhergehenden Paradigmenwechsel in der Sicht auf das Werteverhältnis zwischen Produkt und seinem Wechselmedium, dem Geld, wird, schwanger durch den Geist der demokratischen Idee von der „Freiheit und Einzigartigkeit des Individuums“, innerhalb weniger Jahre, quasi in einer kathartischen Sturzgeburt, der westlichen Welt in Stellvertretung vorrausgenommen, die Frucht des amerikanischen Traums und gleichzeitig ihr Mythos geboren.

In diesem Spannungsfeld begann sich das Bankwesen zu wandeln. Dies fand seinen Ausdruck in der Gründung von Vereinigungen und Organisationen zur Schaffung von Standards für das Bankgeschäft und dem Ziel der Etablierung eines spezialisierten, respektierten Berufsstandes. Den Bankiers wurde bewusst, in welchem Maße es in ihren Händen lag, das Zusammenleben in ihrem Land politisch und wirtschaftlich zu beeinflussen. Es wurde aber auch deutlich, dass dieser Einfluss nur Hand in Hand mit einer wohlwollenden und vertrauensvollen Kundschaft geltend gemacht werden könnte.

Das neue Konzept für die Repräsentation nach außen sollte das des „progressive banker“ sein. Während das Geschäft als solches weiterhin konservativ, im Sinne von Nachhaltigkeit und Risikobereitschaft in verantwortbaren Maßen, geführt wurde, bezog sich dieses „progressive“ eben auf die neue gesellschaftliche Rolle. Bankiers sahen sich im Zentrum innerhalb ihrer Gemeinschaft mit der Aufgabe, allen ein guter Berater in finanziellen Fragen zu sein und dem Ziel, für das wirtschaftliche Wachstum ihrer Stadt der maßgebliche Faktor zu werden. Im Zuge dieser Erneuerung boten Banken ihren Kunden aus der Landwirtschaft Dienstleistungen wie die Beratung in Fragen der Fruchtfolge und der Wahl des zu züchtenden Viehs und deren Vermarktbarkeit, an, gaben Kurse zur Haushaltsführung für Frauen und begannen das Potenzial der Frauen und Schulkinder als Sparer zu nutzen. Sie argumentierten, dass für sie Klassenschranken nicht existent seien: Jeder, der seine Ersparnisse zur Bank trage, egal ob viel oder wenig, würde zum Kontoinhaber des Fortschritts und zum Unterstützer dieser zivilisatorischen Kraft.

Die Landwirtschaft des mittleren Westens der USA zeigte sich in den ersten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts als so profitabel wie niemals vorher. Beflügelt von dem entstehenden Wohlstand, entwickelten die Wortführer jeder noch so kleinen Stadt Wachstumsphantasien. Zivile Organisationen wie der „Commercial Club“ oder „Rotary“ setzten sich für die Vermarktung ihres Standortes ein und bemühten sich um die Verschönerung ihrer Städte durch den Bau ordentlicher Straßen und das Anlegen von Parks. Für die Vertreter einer Bank war es so ein logischer Schritt ihre alten Quartiere zu verlassen und ein neues Gebäude in Auftrag zu geben, das in ihrem Sinne repräsentativ wäre in seiner immanenten Suggestion, die Zusammenarbeit zwischen Bank und Bürgern der Stadt habe zum Erfolg und Fortkommen beider beigetragen.

Die Stadt Newark ist auf einem Raster angelegt, mit dem Gerichtsgebäude am Newark Plaza in seinem Zentrum. Das Gebäude der „Home Building Association“ steht auf einem kleinen Eckgrundstück an der wichtigsten Ost-West Achse der Stadt gegenüber dem Gericht. Sullivan wurde von den Besitzern der Bank 1914 mit dem Projekt beauftragt. Das Programm, das sich besonders durch die Gemeinschaftsräume auszeichnete, die Teil der oben erwähnten Strategie waren, die Bank zum Kommunikationszentrum wirtschaftlicher Unternehmungen zu machen, war typische für eine Kleinstadtbank jener Zeit.

Der in seiner Theorie wichtige Begriff der Funktion bedeutete für Sullivan nicht nur die quantifizierbaren Bedingungen, sondern die gesamte innere Disposition eines Gebäudes. In „What is Architecture“ (1906) beschreibt er ausdrücklich die Denkart eines Volkes als Teil dieser inneren Disposition. „Wie ihr seid, so sind eure Gebäude“. Sullivan hatte deshalb den demokratischen Plan entwickelt, als eine prinzipielle Überlegung über die Anordnung der Funktionen innerhalb der Bank, um darin seinem Ideal für die amerikanische Gesellschaft Ausdruck zu verleihen. Diese Überlegungen sahen vor, dass der Kunde, der die Bank betritt, den Raum, der sich vor ihm auftut, sofort in seiner Gänze nachvollziehen könne, mit einem intuitiven Verständnis für die Abläufe, die er von den Menschen in ihm verlange. Die Umsetzung erfolgte in der Regel durch die Inszenierung der Bank als einem großen Raum, in dem die verschiedenen Funktionen in Form von Einbauten und Brüstungen zu Möbeln werden, die man benutzt. In vielen der Banken wurde außerdem der Tresor gut sichtbar in einer Achse mit dem Eingang, diesem auf etwas polemische Weise direkt gegenübergestellt, wie an Stelle „von Altären, deren Verschlussmechanismen die Geheimnisse eines säkularisierten Glaubens bewahren.“

Die Durchführung des demokratischen Plans in seinen typischen Merkmalen war bei der „Home Building Association“ auf Grund der geringen Fläche des Bauplatzes und der daraus folgenden Verteilung des Programms auf Geschosse so nicht möglich. Die Anordnung hat hier etwas hierarchisches mit den Menschen (Herren- und Damenzimmer) als Fundament im Keller, der Handlung (Hauptbankraum mit den Kassenschaltern, Zugang zum Tresor) im Erdgeschoss und der Verantwortung (Büro des Direktors und weitere Dienstbüros) im Obergeschoss, gerahmt vom Treppenhaus und dem Konsultationszimmer quasi in vermittelnder Funktion, auf der einen Seite durch physische, auf der anderen durch geistige Anstrengung. Die klare Abgrenzung dieser Bereiche macht das Gebäude zu einem differenzierten Diagram für die Funktionsweise einer Gesellschaft. Der Effekt eines monolithisch anmutenden Charakters des Gebäudes in der Ansicht von außen wird zwar, wie auch bei allen anderen Banken, durch Ausnutzung der Ecksituation, die die Dreidimensionalität des Körpers betont, in Verbindung mit der Wahl eines durchgängigen Fassadenmaterials (grau-grünes Terrakotta) erzeugt; und während die Fenster und Türöffnungen, die die Gebäudehülle im Sockelbereich durchdringen, in ihrer präzisen Form scharf aus dem Material geschnitten sind, unterstützt die Einbettung der Fenster im 1. Stockwerk in eine Ordnung rechteckig, ornamental gerahmter Flächen den Charakter der Fassade als einer gewebeartigen, Alles umfassenden Haut. Durch die abweichende Staplung des Programms jedoch werden die Analogien des Innen- und Außenraums (wenn man sie als solche lesen will) auf einander projizierbar und erzeugen so eine gebrochene Komplexität. Es ist fast als entstehe ein Zwischenraum, eine Diskrepanz zwischen Haut und Körper. Dass Sullivan den Hauptbankraum, auch wenn er nicht wie sonst alle Funktionen in sich vereint, durch die Fügung der Materialien und der Ornamentierung der „Himmels-Decke“ trotzdem als Einheit geformt hat, wirkt wie ein zusätzlich persönlicher Kommentar.

Berlin 2007

In der Vergangenheit erstreckte sich die Veränderung von Handlungsabläufen auf einen längeren Zeitraum als heute, so dass die Auswirkungen einer Handlung sichtbar erschienen. Dies suggerierte oder ermöglichte sogar die Einflussnahme auf das Geschehen durch Planung. Handlungsabläufe konnten Muster ausbilden, welche wiederum auf die ihnen zugrundeliegende soziale Gemeinschaft den Eindruck von Gegebenheiten ausübten. Informationen wurden zu Fakten und Architektur modern. Und es kam zur Abbildung dieser Grundlagen in national-staatlich organisierten Institutionen: das Parlament, das Gericht, das Gefängnis, das Krankenhaus, das Arbeitsamt, die Schule, das Museum, die Bank. Die wirtschaftliche Dynamik einer sich immer schneller globalisierenden Welt jedoch erzeugt Unsicherheit, weil sie bestehende Sinnzusammenhänge aufmischt, nicht zerstört, sondern so in scheinbare Unordnung bringt, daß ihre Sinnhaftigkeit für den Moment verloren geht. In diesem Moment, der sich laufend wiederholt, ist das System unsicher, angreifbar, und aus dieser Unsicherheit resultierende Handlungen verändern die Strukturen, in denen wir leben.

Nach der Untersuchung der „Home Building Association“ ergaben sich also folgende Fragen: Wie kann der Voraussetzung einer solch globalisierten Gesellschaft begegnet werden? Welche Rolle spielt die Bank heute? Welche Kundengruppe steht besonders im Focus? Und welche programmatischen Mittel können für eine Neuorientierung gefunden werden?

 

 

Den Anstoß, das Szenario der Unsicherheit in eine Versuchsanordnung zu übertragen, um ein positives Bild erzeugen zu können, lieferten die Untersuchungen des Wirtschaftswissenschaftlers Donald Sull zu Schwellenländern. Länder wie Brasilien, China und Russland, die sich aus verschiedenen Umständen früher und dazu aktiver als andere auf die neue globale Dynamik eingelassen haben, profitieren nun davon. Die Agilität mit der in diesen Ländern gehandelt wird, macht aber besonders eine Sache sehr deutlich: Während die ökonomische Kraft der Globalisierung in entwickelten Ländern als zersetzende Bedrohung empfunden wird, ist in sich entwickelnden Ländern der strukturellen Veränderung der Wirtschaftssphäre meist eine Neuorientierung der jeweiligen politischen/ gesellschaftlichen Strukturen schon vorausgesetzt bzw. festigt sich eben erst durch diese. Trotz verschiedener Vorzeichen im speziellen Fall ist das Resultat ähnlich: Da auf politisch/ gesellschaftlicher Ebene die Verkörperung von Konsens in Form von Institutionen nur schwach ausgeprägt ist, findet flexibles wirtschaftliches Handeln nicht so sehr auf der sicheren Grundlage eines gefestigten Systems, sondern vielmehr parallel zu diesem, statt. Systeme sind bezugsrelevant, aber nicht maßgebend. Gleichwohl entsteht so immer wieder eine neue Struktur, die, durch die Ordnung hin auf das überkommene System, ihre Konzentration auf diesen fiktiven Punkt, Relevanz hat. Dadurch ist ein besonderes Bewusstsein für die Relativität des eigenen Handelns gegeben. Die Abbildung dieser ständig neuen Strukturen, sowie ihrer gegenseitigen Überlagerungen, ist das Ziel.

Während angelsächsische Länder eine größere Bedeutung des Kapitalmarktes aufweisen, stützt sich Deutschland, bedingt durch die starren Strukturen des Dreisäulen-Systems, immer noch zu einem größeren Teil auf Finanzintermediäre wie vor allem Banken. Eine Sichtung des Marktes zeigte schnell das Problem zwischen der Bank und ihren Kunden und wurde von der Fraunhofer IAO Studie „Bank und Zukunft“ bestätigt: Parallel zur ungreifbaren und voraussetzungslosen Masse differenziert sich die Angebotspalette der Banken bei gleichzeitiger Konzentration auf Schwerpunkte mit entsprechendem Retailkonzept mehr und mehr aus. Und gleichzeitig wird versucht, der untragbar gewordenen Flexibilität der einstigen Universalbank mit einer „intelligenten“ Softwarearchitektur im Backoffice Rechnung zu tragen. Unter Voraussetzung dieser Gegebenheiten und ihrer Überhöhung durch Slogans wie „Die Bank ist tot“ und „Die Bank ist jetzt ein Shoppingcenter“ wurde nach einem geeigneten Mittel gesucht, die Bank in ihrer Rolle als Institution in der Gesellschaft zu stärken bzw. neu zu erfinden. Die simple Antwort ist: Die Hinterzimmer (-Architekturen) werden öffentlich gemacht.

Der Vorschlag des Fraunhofer IAO, durch die Anwendung kombinierbaren Szenarien (High-Tech-, Convenience- und Community-Banking) eine Neuausrichtung der Filialen zu erzeugen, wurde aufgegriffen und durch das Hybrid-Banking ergänzt. Die ersten drei Szenarien zeichnen sich durch lifestylenahe Retailkonzepte sowie das Angebot banknaher und ferner Dienstleistungsprodukte aus. Das Hybrid-Banking erweitert diese nun um eine Crowdsourcing Agentur. Inspiriert durch die Mikrokreditbank des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus werden herkömmliche Bankprodukte sowie Mitarbeiterbeteiligung etc. durch Crowdsourcing bereitgestellt und von der Bank moderiert. Den Übergang bildet die spielerische Annäherung an den Kapitalmarkt durch das Glücksspiel.

Crowdsourcing ist ein 2006 von Jeff Howe und Mark Robinson (Wired Magazine) geprägter Neologismus. Während Outsourcing die Auslagerung von Unternehmensaufgaben und -strukturen an Drittunternehmen bezeichnet, setzt Crowdsourcing auf die Intelligenz und Arbeitskraft der anonymen Masse im Internet und ist ein wegweisendes Mittel hin zu einer ökonomisch realistischen Umsetzung individualisierter Massenfertigung. (Beispiele: mediapredict.com, cambrianhouse.com, iStockphoto.de, sellaband.com, innocentive.com, laraghfinance.com)

 

 

Ein rings herum verglastes Erdgeschoss bildet den Shopping-Sockel des Gebäudes. Eine Rampe führt von hier durch den Hauptkorpus hinauf in das „Horizontgeschoss“. Auch dieses Geschoss ist vollständig verglast, im Gegensatz zur Warenwelt im unteren Teil des Gebäudes jedoch ist dieser große Raum völlig leer. Sein Fußboden nimmt die Traufhöhe der umstehenden Gebäude auf, die Unterkante eines Kranzes großer LCD-Infoscreens bildet die Oberkante des Horizonts. Der Blick geht rings um auf die Stadt, aber der Horizont ist bestimmt durch die Vertikale, die Dualität von Ort und Wissen: Creation Banking, darüber kommt die Zukunft.

 

 

Die „Public Corporation Bank“ steht auf der Ecke Karl Marx Allee/ Ecke Gruner Straße und ist Teil des Alexanderplatzes. Eine in die Stadttopographie eingelassene „Plaza“ (die auf sie hinabführenden Treppen erinnern an die Ränge einer antiken Arena) ist dem Gebäude an seiner Südseite vorgelagert. Von hier aus erschließt sich der Kunde durch einen von drei Tunneln das innere der Bank, die Katakomben, die Höhle des Löwen.